Am Ende manifestierte sich der gelungene Kulturtransfer in Tanzform. In der kurzen Pause zwischen Darbietungen und Apéro riche forderten Akemi Hess und Mayumi Lehmann das Publikum auf, spontan mit ihnen einen japanischen Volkstanz zu tanzen. Zunächst nur spärlich, dann immer zahlreicher folgten die Leute den Tänzerinnen ins Nebenzimmer, um die Schritte und Figuren zu üben. Bis das Essen im Erdgeschoss bereit war, sah das Ganze schon ziemlich flüssig aus.

«Brücken zu schlagen zwischen Kulturen und Menschen», dieses Ziel hatte Moderator Armin Ziesemer für den Nachmittag genannt. Unter dem Titel «Götterberg trifft Drachenfluss» brachten am Sonntagnachmittag verschiedene Künstler rund 50 Interessierten die Kulturen Japans und Chinas näher. Zu erleben gab es Tanz, Musik, Literatur und die Meditationsform Qi Gong. Auf die Beine gestellt hatten den Anlass der Schweizerisch-Japanische Kulturverein Yamato, der Chinesische Verein Ostschweiz und der Tai Chi Club Wil.

Was Kunst und Kultur prägt

«Ich habe einiges aus Japan kennengelernt, das ich vorher noch nie gesehen habe», sagte Sisan Tang vom in Wil ansässigen Chinesischen Verein Ostschweiz beim Apéro. Auf dem Teller vor ihr lagen gekochte Sojabohnen, Edamame genannt, Frühlingsrollen, Sushi und Pouletspiesse. Mit am Tisch stand die Sängerin Wendi Li, die im letzten Frühling auch in der Tonhalle Wil aufgetreten ist. Auch sie zeigte sich begeistert vom interkulturellen Nachmittag im Baronenhaus. In den musikalischen und tänzerischen Beiträgen habe sich ihr gezeigt, was die Kulturen Japans und Chinas gemeinsam hätten, aber auch, worin sie sich fein unterschieden. So habe sie den Eindruck, die japanische Kunst neige generell mehr zur Tiefe und sei eher introvertiert, während sie in China oft leichter und lebenslustiger daherkäme. Li äusserte dazu auch eine Theorie: «Ich glaube, dass Landschaft und Umwelt die Mentalität von Kultur und Kunst stark prägen.»

Und tatsächlich: Viele der künstlerischen Beiträge hatten in der einen oder anderen Weise die Natur, oder die Gewalt der Natur zum Thema. In den Gedichten, vorgetragen von Atsuko Lampart-Fujii und Armin Ziesemer, seines Zeichens diplomierter Märchenerzähler und Zen praktizierender Japan-Fan, ging es um Teiche und Wind in Pinienkronen. Qin Streller-Shen spielte auf dem chinesischen Saiteninstrument Guqin das wilde Stück «Flowing Water», Andreas Tellenbach seinerseits auf dem japanischen Saiteninstrument Shamisen ein Lied über die Trauer nach einem Tsunami.

Momosuke oder Hans Kuhschwanz

Den Bogen von den japanischen zu den hiesigen Bergen und ihren Geschichten spannte wiederum Armin Ziesemer mit einem japanischen Märchen, das inhaltlich aus dem gleichen Stoff wie die eher unbekannte Schweizer Sage von Hans Kuhschwanz gewebt sei. In der Geschichte von Momosuke ging es um einen Traum von einem Schatz und der folgenden Suche danach, wobei ihn letztlich nicht der Schatz, sondern die Begegnung mit seinem wiedergefundenen Zwillingsbruder zum Glück führt.

Gerade zwischen Japan und der Schweiz habe der kulturelle Austausch ja eine lange Tradition, sagte Ziesemer anschliessend beim Apéro und erwähnte Heidi, den in Japan verehrten Schweizer Kickboxer Andy Hug und das Gerücht, wonach in einem Tokioter Museum ein Stück vom Matterhorn liege. Sängerin Wendi Li fand denn auch, dass ein Beitrag mit Schweizer Folklore den Kulturaustausch schön abgerundet hätte: «Ein bisschen Jodel oder ein paar Silvesterchläuse wären doch toll gewesen.»